Donnerstag, 1. Dezember 2011

Schuld und Perfektion

Ich habe eine neue Arbeit. Hin und wieder denk ich an meine Kiddies und frag mich, wie es ihnen geht, ob sie schon groß und stark sind, oder sich noch immer von Schulnoten runtermachen lassen und sich von der ganzen Welt beurteilt fühlen. Ich frag mich, ob ich falsch damit bin, keine Lehrerin zu sein. Die Arbeit mit Kindern bringt viel Verantwortung und es war immer auch mein Leid, wenn die SchülerInnen schlechte Noten brachten. Ich musste mein Handeln verteidigen oder entschuldigen, wenn die Eltern fragten, warum ihre Kinder sich nicht besserten. Die Kinder lesen nicht viel, oder? fragte ich meistens die Eltern, denn das ist doch der Punkt, warum Kinder schlecht in Deutsch sind. Aber die Eltern schicken ihre Kinder in zu mir in die Nachhilfe, weil sie ja selbst wahrscheinlich auch nicht viel lesen. Auch wenn ich weiß, dass ich nicht allein verantwortlich für ihr schulisches Fortkommen bin, und die Kinder auch sagen: "Nein, kündige nicht, unsere schlechten Noten sind doch nicht deine Schuld! Du bist so eine coole Lehrerin!", ich fühle mich trotzdem schuldig. Ich glaube trotzdem, dass ich nicht gut genug bin. Natürlich ärgere ich mich auch sehr über die Eltern, vor denen die Kinder eigentlich Angst haben. Eltern fühlen sich auch immer schuldig. Eltern wissen nicht, was sie tun sollen. Sind sie zu streng? Lassen sie ihren Kindern zu viel Freiheit? Wo sollte man Grenzen setzen? "Mein Kind nimmt Drogen, was hab ich falsch gemacht?"
Und Kinder nutzen das ja auch aus. Ich hab früher meiner Mutter die Schuld gegeben, an allem, bis ich 18 war. Jetzt tut mir das alles sehr Leid. Sie hat doch immer ihr Bestes gegeben. Jetzt sind wir in gutem Verhältnis, ich liebe meine Mama sehr. Wenn ich dann an meine Teenagerzeit denke, fühle ich mich schuldig. Auch wenn ich weiß, dass meine Mama weiß, das Teenager nunmal so sind.
Ich habe jetzt eine neue Arbeit. Ich mache viele Fehler. Auch wenn ich extra kontrolliere, irgendwas überseh ich doch. Mein Chef weist mich darauf hin. Weist mich auf den nächsten Fehler hin und erwähnt den vorigen nochmal. Was soll das? Ich finde es gut, wenn er mich auf meine Fehler hinweist, aber er muss die Fehler nicht addieren um mir dann aufzuzählen wie schlecht ich bin. Ich werde nervös, mache noch mehr Fehler. Immer, scheint mir, kann man mehr falsch als richtig machen. Nicht geschimpft ist gelobt genug.
Ebenso frage ich meinen Freund oft wenn er abweisend ist, ob ich ihn nerve, ob es ihn stört, dass ich so oft bei ihm bin. Frage mich im Stillen ob er mich liebt, oder nur mit mir zusammen ist, weil ich halt grad da bin. Früher ist mir öfter der Gedanke gekommen, dass er wegen mir Kopfweh hätte.
Eigentlich fühle ich mich ständig nicht gut genug. Das ist seltsam, weil nach innen genüge ich mir selbst. Ich täte gerne mehr für mich, ich müsste mir nur mal die Zeit nehmen. Ich will mehr malen, auch mehr Zeichenstudien machen, ich rede seit einem Jahr davon mir eine neue Website zu schreiben und mein Französisch aufzubessern, programmieren zu lernen und Gitarre hab ich auch schon lang nicht mehr gespielt, ganz zu schweigen von den vielen Büchern, die noch ungelesen bei mir herumstehen. Mein Zeichentablet hab ich auch noch nicht viel benutzt, seit ich es vor 2 Monaten gekauft habe. Achja und ich studiere zu wenig. Manchmal fühle ich mich doch schuldig auch mir selbst gegenüber, weil ich all diese Dinge nicht mache. Ich fühle mich ständig nicht gut genug. Auch wenn ich mit Bildern im Museum moderner Kunst nichts anfangen kann, bin ich es, die wiedermal was nicht kann. Dann werde ich langsam grantig auf die ganze Bussi-Bussi-Kulturgesellschaft, die das alles unheimlich chic und interessant zu finden vermag und in dem fancy Restaurant unterhalb des Museums exquisite Speisen isst, die ich mir nicht leisten kann. Wieder etwas, das ich nicht kann. Vielleicht bin ich auch einfach nur neidig. Genauso wie ich plötzlich freundliche Menschen weniger mag, weil sie es schaffen, immer freundlich zu sein. Ich beobachte meine Arbeitskollegin, wie sie sofort aufmerksam aufspringt, wenn ein Kunde kommt, während ich noch gedankenverloren beim Essen bin und den Kunden erst jetzt sehe. Sie, mit ihrer natürlichen Schönheit, lächelt ihm freundlich entgegen und fragt nach seinem Namen. (Einmal hat eine Kundin sogar schon mal gesagt, sie rufe später wieder an, wenn das nette Fräulein wieder da ist, weil sie nicht mit dem Chef reden wollte (sie wusste nicht, dass sie mit dem Chef sprach)). Das war der Moment wo ich mir dachte, dass ich doch gern einen Job hätte, bei dem ich ungeniert grimmig schauen darf. Oder einen Job wo ich die Beste sein kann. Oder beides.
Vielleicht bin ich auch gar nicht inkompetent, sagt mir meine tröstende Stimme in meinem Kopf, sondern erfolglos perfektionistisch. Das ist eine schöne Umschreibung für inkompetent, sag ich zurück. Nein, meint die tröstende Stimme, inkompetente Menschen sind sich ihrer Fehler nicht bewusst.
Jaja, meine Welt geht eh nicht unter, du musst mich nicht trösten. Es ist erst Winteranfang, richtig mies wird es im Februar, da kannst du dann weiter schön reden, liebe Stimme, sag ich und geh schlafen. Neuer Tag, neues Glück?
Zumindest interpretier ich so den Glückskeks vom Sushi.

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