Dienstag, 2. Februar 2010

Die ewigen Jagdgründe

Ich wohne neuerdings bei Frau S.
Frau S.' Wohnung ist nicht sehr geräumig, dennoch verliert man sich leicht darin.
Das witzigste an dieser Wohnung ist definitiv das Schild an der Tür: "Die ewigen Jagdgründe" Was ist dahinter wohl zu erwarten?
Nach meiner langen Reise
- es ha gestürmt als ich herkam, ich hatte mich auf dem Weg dreimal verirrt und fünfmal die Adresse vergessen, bin 20 "falschen" Bekanntschaften begegnet, aber auch einigen wirklich richtigen, wirklich wichtigen. Kurz, ich bin quasi mein ganzes Leben hierhergegangen, so kommt es mir zumindest vor, und jetzt steh ich hier in Frau S.' Wohnung, in den ewigen Jagdgründen (haha) und tatsächlich (hahaha) fühle ich mich angekommen. Zum ersten Mal in meinem Leben fühle ich mich angekommen und das ausgerechnet an einem Ort, der den Namen "Die ewigen Jagdgründe" trägt.

Frau S. ist eine liebe alte Frau. Unglaublich alt. Sieht zumindest so aus. Mit melancholischen großen blauen Triefaugen, und wenn sie seufzt, seufzt sie das traurigste Seufzen der Welt. Frau S. war mal mit Herrn Nadzieja verheiratet. Herr Nadzieja war stets gut zu ihr. Damals - ich habe ein Foto gesehen - waren ihre Augen leuchtend und erwartungsvoll. Doch Frau S. sagt, sie hätte ihn immer ein bisschen gehasst, weil er ihr wahnsinnig weh tun konnte.
Nun ist er fort und sie allein in der kleinen Wohnung. Sie kann allein nicht leben, sie hasst das. Sie braucht keine Pflege, sie braucht nur Gesellschaft. Ich kann mich hier frei entfalten, sie freut sich über alle meine Eigenheiten, freut sich über alle Neuheiten. Und ich fühlte mich, als gäbe ich ihr etwas, dass ihr sonst nur Herr Nadzieja zu geben vermochte.
Sie gab mir hingegen etwas wieder, dass ich nur aus meiner Kindheit kannte. Geborgenheit, Wärme, einen Platz wo ich immer gerne hinkomme, ein Zuhause.

Das war die Basis wo ich nach meiner Reise meinen lang ersehnten Alltag aufbauen wollte. Alles war zu wild in letzter Zeit, jetzt will ich es ruhig angehen. Ich suchte mir also einen Job und Freunde und folgte meinen Interessen. Arbeitete jeden Tag, traf nach der Arbeit meine Freunde, nach den Freunden oder vor der Arbeit noch kurzer Tratsch oder Kartenspiel mit Frau S. und am Wochenende... ach das Wochenende war so schnell vorbei, ein bisschen Spaß, aber nicht die Welt.

Jetzt wohne ich ein Jahr hier. Ein Jahr Alltag, ein Jahr dieses herrliche Leben, das immer besser wird. Aus materieller Sicht, unglaublich, was ich mir jetzt alles leisten kann, was ich früher nie erträumt hätte. Frau S. klopft heute fast täglich an meine Tür, sie langweilt sich. Wir spielen Karten um uns abzulenken oder schauen fern. Aber es geht uns gut.
Zu gut.
Ich habe mich schon lange nicht mehr zerstört. Ich sehne mich nach der alten Verwegenheit, oder, nein, da will ich nicht zurück. Ich brauche etwas Neues. Je mehr ich das Gefühl etwas neues zu brauchen beschleicht, desto trauriger wird Frau S. Wir suchen ja beide. Wir jagen, wir jagen etwas Neues. Sinn, Bunt, das gewisse Etwas, Nachhaltigkeit, wir jagen etwas das uns nicht langweilig wird. Alles was uns nicht langweilig wird ist das Jagen selbst und das ist schrecklich. Die unstillbare Gier, wir leben wie Vampire. Ohne Herrn Nadzieja. Ohne zu wissen wonach wir suchen, ohne Hoffnung.
Ich brauch eine andere Stadt, ein anderes Leben, einen anderen Job und neue Perspektiven. Aber ich kann nicht weg, ich kann Frau S. nicht allein lassen. Was würde aus ihr werden...

es wurde zu viel. Rücksichtslos aus Panik vor dem Stillstand wie ich es bei Frau S. langsam sah, riss ich mich los und rannte weg. Rannte bis ich das Haus nicht mehr sehen konnte, rannte bis ich nicht mehr rennen konnte, schlief unter einer Brücke, rannte weiter und trat meine Reise wieder an. Dort hätte ich ja noch ewig weiterjagen können, aber gefunden hätte ich nichts. Viel zu viel Wald, zuwenige Bäume.

Soll sie doch sterben, die alte Sehnsucht.

Jage nichts das du nicht essen kannst.

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