Die fetten Jahre

Ich darf noch in Bildungskarenz gehen und habe Weiterbildungsgeld genehmigt bekommen, das noch meinen Lohn als Radbotin übersteigt. Plan B wäre Klassenkampf. Ähem, Sozialpartnerschaft. Kollektivverträge verhandeln im privaten Gesundheitsbereich. Aber Sozialpartnerschaft ist von der Wirtschaft nicht mehr gewünscht, das sei ihnen zu bürokratisch, und sie wollen den Klassenkampf. Es hat sich die letzten Jahre sehr deutlich abgezeichnet und das ist nicht die achso radikal sozialistische Position der SPÖ unter dem "Marxisten" Babler. Es ist ein Klassenkampf von oben, den Gewerkschaften und Sozialdemokraten eigentlich nicht führen wollen und auch nicht notwendig finden würden, wenn er uns nicht so aufgedrängt würde.

Vielen ist es jetzt schon klar, aber die Debatte wird immer noch an erster Stelle um "Remigration" geführt, dann kommt "Genderwahn" und "Ökodiktatur", aber während das Volk sich darüber echauffiert, werden Sozialleistungen gekürzt bis zur Abschaffung der Allgemeinen Unfallversicherung für Arbeitnehmer:innen. Die Sozialpartner werden geschwächt, vielleicht sukzessive in die Irrelevanz getrieben. Die unnötige Bürokratie, die Innovation und Wachstum hemmt, halt.
Die Alternative ist der Klassenkampf.

So. Und in dieser Zeit, in diesem entscheidenden Jahr, darf ich in Bildungskarenz gehen. Ich will mich auf die Kunst konzentrieren und nicht auf den Klassenkampf. Der muss aber gerade sein. Ich muss also einen Weg finden, künstlerisch meinen Beitrag zur gesellschaftlichen Balance zu leisten.

Eigentlich wollte ich etwas anderes schreiben. Ich war gerade beschäftigt, zu recherchieren, wann ich welche Kräuter auf meinem Fensterbrett aussäen soll. Ohne Vollzeitjob bin ich wieder mehr zuhause, ich werde nicht vergessen zu gießen und Zeit und Energie haben, mich darum zu kümmern, dass sie nicht eingehen. So wie früher, als ich noch arbeitende Studentin war. Und ich wollte irgendwas schreiben, über die artgerechte Haltung von Humanressourcen, so dass ich mein Leben im Vollzeitjob dennoch gesund finden konnte, denn es gab ausgewogene Ernährung in der Kantine, mit dem Rad zur Arbeit doch immerhin 100 km pro Woche und insgesamt 1 h täglich an der frischen Luft (soweit man das in der Rush Hour behaupten kann, aber immerhin ein bisschen Vitamin D), Fitnesscenter nebenan...
aber jetzt mag ich nicht mehr schreiben. Die fetten Jahre sind vorbei, wir werden unter Stress gesetzt werden und kaum fähig sein, uns selbst artgerecht zu erhalten. Kräuter und Gemüse wird teuer sein, brauchbares Eigentum ist ein Privileg der Reichen. Eigentum, das abhängig macht, so wie ein Auto, das wird man sich leisten können, wenn man brav arbeitet. Aber Haus mit Garten höchstens durch Leibrente. Wer aufs Land zieht, bleibt am Land; das Klimaticket wirds nicht mehr geben, es lebe der Individualverkehr.

Ja, diese Jahre werden entscheidend sein, und ich möchte sie nutzen um mich künstlerisch so weit zu bringen, dass ich mein Elternhaus beziehen kann mit allen Fähigkeiten, die ich brauche, um das beste daraus zu machen. Die Kunst soll kein Phänomen des Zentrums bleiben, das in der Peripherie ausdünnt oder zur Volkstümlichkeit verkommt. Es hat nämlich auch am Land keiner mehr Zeit für Volkstümlichkeit. Das ist alles aus Plastik und kommt aus China*, daran ändert auch ein Hakenkreuz am Etikett nichts.

*und wenn's auch nur als Metapher stimmt. Die Uiguren sind austauschbar gegen jede verhasste Minderheit im jeweiligen Land.

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